Sonntag, 19. Juli 2009

Die Rätsel des Urvogels

Kürzlich las ich ein Buch: Paul Chambers, Die Archaeopteryx-Saga (Original: Contention of Bones), Zweitausendeins, 2003. Das Buch war mir zufällig in die Hände gefallen, aber als ich anfing es zu lesen, konnte ich nicht mehr aufhören.

Er erzählt die Geschichte der Entdeckung des Archaeopteryx und der wissenschaftlichen Kämpfe um die Deutung dieses Fossils. Dabei wird deutlich, welche große Rolle Voreingenommenheiten und Egoismen der Wissenschaftler haben. Der Urvogel war zuerst Kampfobjekt im Streit der Evolutionsgegner und Befürworter. Er wurde vom Evolutionsgegner Johann Andreas Wagner, Konservator bei der Bayerischen Staatssammlung, 1862 zuerst beschrieben, und dabei als ein Reptil dargestellt und Griphosaurus genannt. Jede Ähnlichkeit mit Vögeln wurde heruntergespielt aus Angst, man könnte den Evolutionsbefürwortern damit einen schlagenden Beweis in die Hände spielen, nämlich eine Übergangsform zwischen Reptilien und Vögeln. Erworben wurde das erste gefundene Archaeopteryx-Fossil dann vom Britischen Museum in London. Treibende Kraft war ein anderer Evolutionsgegner, Richard Owens. Auch er war peinlich bemüht, den Urvogel nicht als Zwischenform zwischen Reptilien und Vögeln erscheinen zu lassen, damit er kein Argument für einen Wandel der Arten werden könnte. Für ihn war der Archaeopteryx – einfach ein Vogel. Es störte Evolutionsgegner anscheinend nicht, daß ihre Anhänger den selben Fund genau gegensätzlich interpretierten, um nur der unbequemen Schlußfolgerung zu entgehen, daß sich Arten wandeln und nicht einmalig erschaffen wurden.

In einem späteren Abschnitt des Buches wird der Bogen zu modernen Evolutionsgegnern gezogen. Die fanden ihre Zeugen in Fred Hoyle und Chandra Wickramasinghe. Beide waren angesehene Astronomen. Mitte der siebziger Jahre begannen sie jedoch, sich mit biologischen Themen zu beschäftigen. Sie entwickelten die Theorie, daß die Ursache für das wiederholte Auftreten von Virusepidemien auf der Erde eine Befruchtung durch Leben im Weltall sei. Kreuze die Erde bestimmte Kometenschweife mit Viren, käme es auf der Erde zu Epidemien. Ja, sogar Sprünge in der Evolution und gelegentliche Massensterben, wie an der Perm-Trias-Grenze oder an der Kreide-Tertiär-Grenze (Aussterben der Dinosaurier) seien die Folge von kosmischer Aussaat. Diese Theorie ist so absurd, so ohne sachliche Rechtfertigung, so schwierig einzufügen in alles übrige, was wir wissen, daß man sich fragt, wie erwachsene Menschen das plausibel finden können. Hier traten jedoch zwei angesehene Wissenschaftler mit großen Leistungen auf ihrem eigenen Gebiet auf. Das waren die geeigneten Zeugen von Kreationisten, um die Evolutionstheorie in den Schmutz zu ziehen, von Impfgegnern, um das bekannte Wissen der Epidemiologie zu trüben. Wider jeder Vernunft wurden sie von den Medien ernst genommen. Im Rahmen dieser Theorie war für sie auch klar, daß es Vögel erst seit einem Saatereignis vor 65 Millionen Jahren geben konnte. Da paßte ein 150 Millionen Jahre alter Urvogel nicht ins Konzept. Was macht man, wenn einem wissenschaftliche Erkenntnisse nicht ins Konzept passen? Man behauptet eine Verschwörung der Wissenschaftler, die über 100 Jahre lang mit gefälschten Archaeopteryx-Fossilien gearbeitet haben sollen. So behaupteten 1978 Hoyle und Wickramasinghe, die im Solnhofener Kalkstein gefundenen Platten seien manipuliert worden, insbesondere die Federabdrücke gefälscht worden, weil man damals Darwin habe stützen wollen. Eine absurde Verschwörungstheorie, die von Paläonthologen bestritten wurde, und die sich auch schon dadurch widerlegte, als auch hernach Platten mit Urvogelfossilien gefunden wurden, auf denen sich auch die bekannten Abdrücke von Federn zeigten. Liest man diesen Abschnitt im Buch, muß man unweigerlich an den Physiker Freeman Dyson denken und seine Behauptung, daß die Klimaforscher sich irrten oder an den Geologen Plimer und sein Machwerk Heaven and Earth, das jede bekannte Behauptung der Klimaleugner wiederholt. Es paßt ins Bild, daß die Verschwörungstheorie nicht in einer paläonthologischen Fachzeitschrift, sondern im British Journal of Photography publiziert wurde. Ganz unwillkürlich mußte ich an Gerlich und Tscheuschners „Widerlegung“ des Treibhauseffektes denken, die in einer drittklassigen Zeitschrift zur Festkörperphysik untergebracht wurde, weil sie in einer angesehenen Zeitschrift zur Klimatologie oder Meteorologie nie ein Peer Review überstanden hätte.

Die kontroverse Diskussion zwischen vor allem Paläonthologen, die den Archaeopteryx als Indiz werten, daß die Vögel ein Zweig der Dinosaurier sind, und einem Teil der Ornithologen, die zuviele Unterschiede zwischen Dinosauriern und Vögeln sehen und deshalb nach einem Vorfahren der Vögel unter ursprünglicheren Reptilien vor über 200 Millionen Jahren suchen, wird ausführlich beschrieben. Hier wird klar, daß man unterscheiden muß zwischen Tatsachen, die geklärt sind (Evolutionstheorie) und Thesen, die nur vorläufig gelten (Vögel als moderne Dinosaurier). Es wird auch deutlich, daß es in der Wissenschaft genau wie im realen Leben Moden und Glaubenskriege gibt. Nicht immer sind Thesen so sicher geklärt, wie es die Medien glauben machen wollen, aber es herrschen auch nicht immer solche Kontroversen, wie die Medien es für ihr Geschäft brauchen.

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