Mittwoch, 22. Februar 2012

Schach

Im Schachspiel geht man gelegentlich kalkulierte Opfer ein. Man verliert eine wichtige Figur, um die gegnerischen Reihen zu öffnen und kann dann vielleicht, trotz Figurenunterlegenheit, das Schachmatt der Gegenseite erzwingen. In der Auseinandersetzung mit wissenschaftsfeindlichen Lobbygruppen denkt man ungern in solchen taktischen Begriffen. So etwas paßt zu Politikern, vielleicht auch zu Journalisten. Aber sollten sich nicht Wissenschaftler von so etwas fernhalten? Peter Gleick ist inzwischen vom National Center for Science Education zurückgetreten, eines von vielen Opfern, die mit der Bloßstellung des Heartland Institute verbunden sind.


Vielleicht war der Preis zu hoch dafür, an die Dokumente des Heartland Institute durch eine Täuschung zu gelangen, das wird die Zukunft zeigen. Wenn Wissenschaftler ein Spiel spielen, das Journalisten, Wissenschaftlern und Vertretern von Interessengruppen vorbehalten ist, verlieren sie. Wäre Peter Gleick Journalist gewesen, wäre sein Vorgehen ein Beispiel für harten, investigativen Journalismus gewesen, deutlich in der Grauzone und je nach Arbeitgeber dem Ethikstandard des Blattes angemessen oder nicht. Als Wissenschaftler aber hat er den ethischen Standard seiner Berufsgruppe klar verletzt und wird dafür von Kollegen heftig kritisiert. Manche sagen, daß er damit der Sache der seriösen Wissenschaft, der Information über den vom Menschen verursachten Klimawandel und der Argumentationsbasis gegen Leugner geschadet hat. Zumindest dem letzten Satz stimme ich nicht zu, weil man das individuelle Handeln von Gleick nicht zum Bewertungsmaßstab der Zunft machen kann. Ich finde es aber kennzeichnend, daß im Lager der Leugner ein solches Verhalten unter den eigenen Leuten niemals kritisiert worden wäre. So fanden ja auch fast alle Leugner den Diebstahl persönlicher Emails ganz in Ordnung (und ein Diebstahl war es, wie die Signaturen der gestohlenen Emails zeigen) und sehen auch bei der Finanzierung von Pseudoexperten durch das Heartland Institute nichts Problematisches. In der normalen Welt hingegen kann man auch Menschen, mit denen man einer Meinung ist, für falsches Verhalten heftig kritisieren und ethische Linien ziehen, die man nicht überschreiten sollte. Peter Gleick hat sich nicht wie ein seriöser Wissenschaftler verhalten.

Daraus zieht er Konsequenzen. Das National  Center for Science Education (NCSE) ist eine gemeinnützige Organisation, die sich für die Qualität der Schulbildung einsetzt und Unterstützung dafür bietet, daß an den Schulen die Evolutionstheorie und anerkannte Wissenschaft zum Klimawandel gelehrt wird. In letzter Zeit erkannte man dort, daß im Bereich des Klimawandels die Angriffe auf die Lehre von Wissenschaft in den USA intensiver werden und Interessengruppen hier versuchen, stärker Einfluß zu nehmen. Die Absicht des Heartland Institute, ein Schulcurriculum durch Andrew Wojick erstellen zu lassen, in dem der Konsens in der Wissenschaft zum Klimawandel geleugnet wird, paßt gut in dieses Bild. Im DeSmogBlog hat man weitere Beispiele zu Versuchen seit 2002 zusammengestellt, an Schulen antiwissenschaftliche Positionen zu fördern. Daher wurde kürzlich Peter Gleick eingeladen, im NCSE mitzuwirken. Nachdem Gleick nach der anonymen Zusendung einer Strategie 2012 des Heartland Institute beschloß, sich weitere Dokumente zu verschaffen, indem er vorgab, zum Direktorium zu gehören, ist er nun eine Belastung für die Glaubwürdigkeit des NCSE und zog daher die Konsequenz daraus, seinen Rücktritt anzubieten, was auch angenommen wurde.

Zugleich trat er auch von seiner Position als Vorstand bei der Task Force on Scientific Ethics der American Geophysical Union (AGU) zurück. Die AGU distanzierte sich in einer Erklärung von einem Bruch ethischer Standards, die von der AGU vertreten werden. Zugleich machte die AGU darauf aufmerksam, daß dies nicht die Tatsache verdecken sollte, daß der Klimawandel tatsächlich stattfindet und daß dies nicht die wissenschaftliche Diskussion des Klimawandels stören sollte.

Dies alles ändert nichts an der Faktenlage, daß das Heartland Institute nun durch eigene Dokumente unfreiwillig offenlegt, daß es Pseudoexperten bezahlt, antiwissenschaftliche Propagandablätter finanziert, David Wojicks Kampagne an Schulen fördern will, sich für einzelne Themen von einzelnen Geldgebern abhängig macht, die dadurch genau beauftragen können, welche Meinungen das Heartland Institute vertreten soll, und daß all dieses den Verdacht nahelegt, daß das Unternehmen nicht den Vorgaben für seine Steuerfreiheit entspricht, die für nicht-profitorientierte Organisationen, die Bildung und Wissenschaft fördern, reserviert ist. Auch das NCSE findet sich trotz des Rücktritts Gleicks darin bestätigt, daß man Versuchen entgegentreten muß, antiwissenschaftliche Positionen in die Lehre an den Schulen in den USA einzubringen.

Insofern hat sich mit Peter Gleick zwar eine wichtige Figur geopfert und damit die Möglichkeit eröffnet, daß Klimawandelleugner weitere Ablenkungsgefechte eröffnen werden, in dem sie ihr Paralleluniversum vertreten, in dem 97% der Wissenschaftler sich irren und die Öffentlichkeit darüber täuschen, weil sie allesamt dogmatische Umweltaktivisten seien, denen jedes Mittel recht sei, um ihre Taschen mit Geld zu füllen. Gleick hingegen hat im Tausch für sein Opfer neues Material dafür geliefert, daß wir die selbsternannten „Skeptiker“ als Vertreter und nützliche Idioten einen Interessenpolitik sehen, die im Netzwerk von 40 oder mehr Lobbyunternehmen mit jeweils wenigen Millionen Dollar effektiv Pseudowissenschaftler fördern, pseudowissenschaftliche Berichte herausgeben, sich Teile der Medien fügsam machen und versuchen, öffentliche Einrichtungen und Schulen zu unterwandern. Es bleibt abzuwarten, ob langfristig daraus eine Chance erwächst, antiwissenschaftliche Lobbyarbeit besser zu isolieren und an den Rand zu drängen. Daß einige Geldgeber des Heartland Institute sich öffentlich vom Leugnen des Klimawandels distanzieren, ist ein wichtiger Erfolg.

1 Kommentar:

Treverer hat gesagt…

geik hat einen preis für zivilcourage verdient! es mag den "wissenschaftlichen" vorstellunhen nicht genügen, was er da tat. die konsequenzen dieses verhaltens ist er anscheinend bereits zu tragen - und er wird auch schlau genug gewesen sein, bereits im vorfelde seiner aktion diese negativen folgen bedacht zu haben - hoffe ich.

ich denke, er hat abgewogen zwischen seiner rolle als wissenschaftler und seiner rolle als (politischen) mensch.

die kritiker, die meinen, er hätte der klimawissenschaft geschadet bzw. eine bärendienst erwiesen, irren meine erachtens. die mittelfristige folge ist definitiv die schwächung der leugnung der leugnerlobby. weil ihr tun transparenter, entlarvt wurde...

und das wissen diese selbst am besten und haben kein rezept dagagen. deswegen pendeln sie in ihrem verhalten zwischen bestreiten ihrer urheberschaft (=alles erfunden) und juristischer verfolgung der veröffentlichungen (=alles geklaut).

und was macht SPON daraus? erbärmlich. es steht zu befürchten, dass sie auch woanders so oberflächlich und mit eigener agenda agieren. nur fällt es einem nicht auf, wenn man auf gleicher wellenlänge tickt...