Sonntag, 4. November 2012

Hurrican Sandy bringt den Klimawandel in die Politik zurück

In den USA schien es so, als wäre der Klimawandel als politisches Thema abgemeldet. Seltsamerweise konnte die neuerliche Rekordschmelze des arktischen Meereeises, bei der Eisausdehnung, Eisfläche und Eisvolumen minimale Werte im September 2012 aufwiesen genausowenig die Realität des Klimawandels mit seinen Auswirkungen in das politische Bewußtsein bringen wie die gewaltige Dürre im Süden der USA, die an die Ausmasse der Dürre in den 30er Jahren erinnerte. Doch der Hurrican Sandy ändert alles und macht einen großen Bogen vom arktischen Meereseis und dem Klimawandel über den Meeresspiegelanstieg und Klimawandelfolgen bis zum Präsidentschaftswahlkampf möglich.

Der Hurrican Sandy, der Ende Oktober die Ostküste der USA traf, war in vielen Aspekten etwas ganz besonderes. Der Hurrican war nicht nur außergewöhnlich groß. Er dehnte sich dabei über die gesamte amerikanische Ostküste aus mit einem Durchmesser von etwa 1000 Kilometern. Er war auch nicht nur außergewöhnlich stark. In vielen amerikanischen Städten wurden neue Minimumwerte des Luftdrucks während des Hurricans erreicht. Er hatte auch eine ungewöhnliche Bahn genommen. Für einen Hurrican war er weit nach Norden gekommen und sein Kern wendete sich unerwartet nach Westen (nach "links"), als er die geographische Breite von New York erreicht hatte. Normalerweise wäre der Hurrican hier weiter nach Osten ins Meer abgedreht. Doch daran hinderte den Sturm ein blockierendes, starkes Hochdruckgebiet über Grönland, das die Bahn über die amerikanische Ostküste dirigierte. Gerade dieses Hochdruckgebiet aber verknüpft den Hurrican ein zweites Mal mit der globalen Erwärmung. Die erste Verbindung war schon dadurch entstanden, daß hohe Meerestemperaturen einen Beitrag dazu leisteten, dass dieser Hurrican besonders stark war. Hohe Meerestemperaturen und höhere Luftfeuchtigkeit liefern zusätzliche Energie für einen Hurrican. Zugleich erhöht die größere Verdampfung des wärmeren Meeres auch die möglichen Niederschläge aus einem Hurrican und dadurch erzeugte Überschwemmungen.


Die außerordentlich starke Meereisschmelze dieses Jahr führt dazu, dass die Temperaturunterschiede zwischen Nordpol und Äquator abgeschwächt werden. Dadurch kann der nördliche polare Strahlstrom, ein sehr starker Wind im Bereich der Tropopause in über 10 Kilometern Höhe, stärkere Abweichungen zeigen und zu ungewöhnlichen Witterungen wie das starke, blockierende Hoch über Grönland führen. Solche Witterungen sind im Herbst eher unwahrscheinlich, werden aber durch eine geringe nördliche Meereisbedeckung wahrscheinlicher. Während man also nicht beweisen kann, dass der Hurrican Sandy ohne globale Erwärmung schwächer gewesen wäre oder einen anderen Weg genommen hätte, muss man andererseits zugestehen, dass diese Abfolge von Ereignissen genau dem entspricht, was durch die globale Erwärmung wahrscheinlicher werden soll. Daher liegt es nahe, dass die Politik sich auf diesen Hurrican als eine mögliche Folge des Klimawandels bezieht. Und für diese Schlußfolgerung hatte der Hurrican eine außergewöhnlich gute zeitliche Abstimmung.

Es ist die Endphase des amerikanischen Wahlkampfes. In ihm wurde viel über die Finanzkrise, Arbeitslosigkeit und über die Krankenversicherung für alle gestritten, aber der Klimawandel hatte genauso wie während Obamas erster Amtszeit nur die Rolle eines Statisten ohne eigenen Text - womöglich hatten beide Kandidaten keinen erwartbaren Nutzen von einer Diskussion des Klimawandels im Wahlkampf. Und aufgrund der schlechten Wirtschaftslage drohte Barack Obama den Wahlkampf gegen den Republikaner Mitt Romney zu verlieren, obwohl er ursprünglich in den Umfragen klar führte. Obwohl den Amerikanern die Zeit unter George W. Bush noch negativ in Erinnerung war, hatten sie Obama nicht als einen Präsidenten erlebt, der bei dem versprochenen Wandel durchgreifende Erfolge erzielt hatte. Man kann darüber spekulieren, ob die Wahnehmung der Amerikaner durch die große Reichweite des rechts-populistischen Nachrichtensenders Fox-News getrübt ist oder ob sie einfach in der knappen Mehrheit grundsätzlich eher dem republikanischen Mantra zuneigen, möglichst wenig Staat und möglichst wenig Steuern zuzulassen, (mein Zusatz: koste es, was es wolle). Als der sogenannte "Frankenstorm" die amerikanische Küste erreichte, wurden jedoch die Karten neu gemischt - vielleicht kommt von hier der entscheidende Prozentpunkt bei den unentschiedenen Wählern, um genügend Wackelstaaten auf Obamas Seite zu bringen.

Eine Naturkatastrophe bringt Wähler automatisch auf die Seite des Amtsinhabers, denn nun kontrolliert seine Krisenbewältigung die Nachrichten. Und die Wähler neigen auch verstärkt dazu, dem erfahrenen Amtsinhaber in der Krise mehr zu vertrauen als einem unerprobten Bewerber um sein Amt. Doch die Voraussetzung dazu ist, dass die Krisenarbeit des Amtsinhabers als kompetent und sich kümmernd wahrgenommen wird. Hieran war, woran sich Wähler in den USA noch erinnern, George W. Bush beim Hurrican Katrina 2005 in New Orleans anscheinend gescheitert, weil er zu spät in der Öffentlichkeit den Eindruck erweckte, dass er die Naturkatastrophe als Chefsache betrachtete und weil die Arbeit der Katastrophenbehörde FEMA als schlecht wahrgenommen wurde. Die Wahrnehmung der Wähler von Obama als Krisenbewältiger hat nun Einfluß auf die Stimmen der Wähler. Und hier erhielt Obama wichtige Verbündete, nämlich ausgerechnet einen wichtigen Wadenbeißer der Republikaner, den Gouverneur von New Jersey Chris Christie, der Obamas Unterstützung für den vom Hurrican schwer getroffenen Staat lobt. Dass man ausgerechnet einen bekannt klar konservativen Republikaner gemeinsam mit dem demokratischen Präsidenten in den letzten Tagen im Fernsehen sieht, stärkt Obama erheblich. Weniger überraschend ist, dass nun der früher republikanische und nun parteilose Bürgermeister von New York Michael Bloomberg sich, wenn auch mit Abstrichen, aber unter anderem mit Verweis auf das Thema des Klimawandels, hinter Obama stellt. Dabei weist Bloomberg klar darauf hin, dass die globale Erwärmung wohl einen Beitrag zu der Stärke des Hurricans Sandy geleistet hat und der Meeresspiegelanstieg dabei mithilft, dass solche Hurricans und die von ihnen angetriebenen Springfluten immer stärker New York mit Überflutungen gefährden. Gerade New York sei von solchen Wetterereignissen und vom Meeresspiegelanstieg besonders gefährdet. Plötzlich erleben Amerikaner hautnah, dass die globale Erwärmung in ihrem persönlichen Umfeld Folgen hat und bringen das Thema des Klimawandels in den Wahlkampf hinein. Doch ob das wirklich in so kurzer Zeit bei genügend Amerikanern dazu führt, dass sie plötzlich den Klimawandel wieder als ein wichtiges Thema wahrnehmen, bleibt abzuwarten - es gibt hier auch begründete Skepsis.

Immerhin gibt es dabei auch eine ironische Wendung in der Geschichte. Der amerikanische Klimaforscher am Goddard Institute for Space Studies der NASA James Hansen hatte vor über 20 Jahren in einem Interview bei der Frage nach den Folgen des Klimawandels darauf hingewiesen, daß in vielleicht 20 oder 30 Jahren unter anderem der West Side Highway entlang dem Hudson River in Manhattan überflutet sein könnte. Das führte in den letzten Jahren zu wiederholten Beiträgen in Leugnerblogs, die sich über das Ausbleiben einer Vorhersage von James Hansen lustig machten. Die Ironie ist, dass genau diese Straße durch die Springflut beim Hurrican Sandy überflutet war. Wenn man ehrlich ist, muss man zugeben, dass James Hansen 1988 außerordentlich präzise vorhergesagt hat, was uns seitdem in Fragen des Klimawandels bevorstand. Allerdings ist es wohl viel verlangt von Menschen, die die grundlegenden Aussagen der Wissenschaft zum Klimawandel bestreiten, gerade hier eigene Positionen kritisch unter die Lupe zu nehmen.

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