Es gibt ein durchgängiges Schema beim Thema Klimawandel. Irgendein Akademiker einer fremden Fachrichtung stellt fest, daß mehrere tausend Wissenschaftler in der Klimaforschung in den letzten Jahrzehnten durchgängiger Forschung irgendetwas falsch gemacht haben müssen. Es ist egal, ob es ein Wirtschaftswissenschaftler, ein Physiker oder ein Informatiker ist, aber irgendwie kommen da immer wieder Menschen auf, die einen privilegierten Zugang zu Wissen zu haben scheinen, der es ihnen ermöglicht, an tausenden von Fachpublikationen vorbei ein Thema beurteilen zu können. Der neueste in dieser Reihe selbsterklärter Genies ist David Gelernter, Professor für Informatik in Yale und in der Forschungsabteilung von Mirror Worlds Technologies tätig. Im konservativen Spektrum gilt er oft als Universalgenie und äußert sich zu Informatik, Kunst, Religion und Geschichte. Außerdem ist er in den USA als überlebendes Opfer des UNA-Bombers bekannt.
In einem Kommentar bei der FAZ warnt Gelernter davor, daß angeblich Computermodelle unkritisch zu Entscheidungsträgern gemacht würden. Laut Überschrift geht es in dem Kommentar um ein Nachdenken über die Reaktion auf die Vulkanaschewolke. Und der Titel ist sehr plakativ „Die Aschewolke aus Antiwissen“. Der Titel ist sogar unfreiwillig treffend, denn Gelernter pustet uns eine solche Aschewolke des Antiwissens in das Gesicht. Er behauptet, ausgeklügelte Computerprogramme hätten Europas Flugverkehr in ein Chaos gestürzt. Doch das Chaos entstand dadurch, daß die Flugaufsicht nicht die Verantwortung dafür übernehmen konnte, daß Vulkanasche in jedweder Konzentration kein Risiko für die Luftfahrt darstellt. Die Entscheidungen darüber, welche Flugräume gesperrt wurden, kamen eben nicht aus Computermodellen, wie Gelernter es suggerieren will, sondern waren politische Entscheidungen, die man auf der Basis traf, daß schon ein einziges Flugzeug, das womöglich Schäden erleidet und dadurch jetzt oder später abstürzt, ein vermeidbarer Unfall zuviel ist. Das war den Entscheidungsträger ein Milliardenschaden bei Flugausfällen wert, denn wenn man die Lufträume nicht gesperrt hätte und auch nur eine Maschine abgestürzt wäre, wäre der Aufschrei der Öffentlichkeit viel größer geworden. Diesem Dilemma wurde Gelernter nicht gerecht.
Aber wollte er dem gerecht werden? Er schreibt hier über ein Thema, mit dem er sich offensichtlich nur oberflächlich beschäftigt hatte. Denn er unterstellt, es hätte keine Messungen der Vulkanaschewolke gegeben. Doch, die gab es. Die Datenlage hätte besser sein können, aber grundsätzlich waren die verwendeten Ausbreitungsmodelle validiert und nachfolgende Messungen bestätigten, daß tatsächlich die simulierten Vulkanaschewolken vorhanden waren. Schon der Journalist Schirrmacher, auf dessen Kommentar bei der FAZ sich Gelernter bezieht, hatte da reichlich unbedarft falsche Behauptungen in die Welt gesetzt, die einige Leser in den Kommentaren auch angreifen – erstaunlich, daß hier die Leugnertruppe, die in ihrer üppigen Tagesfreizeit sonst zu allem mit Klimabezug relevante Beiträge auf rot und Unfug auf grün klickt, sich hier noch nicht ausgetobt hatte.
Worum es eigentlich ging, merkte man in den folgenden Absätzen, als unvermittelt das Thema Klimawandel auftauchte. Nun hat Professor Gelernter auch von der Klimaforschung offensichtlich keine nennenswerten Kenntnisse, aber als amerikanischer Konservativer eine sehr bestimmte Meinung. Er ist davon überzeugt, daß wir nicht wissen, ob Kohlendioxidemissionen eine Erderwärmung erzeugen können. Doch, wir wissen es, weil es elementare Physik ist und weil wir es beobachten. Wir wissen seit Jahrzehnten, daß Kohlendioxidemissionen zu einer Erderwärmung führen können und wir sind zunehmend in der Lage, den Effekt zu quantifizieren und dies durch Beobachtungen zu bestätigen, und es gibt Anhaltspunkte dafür, daß wir den Modellen hinreichend weit trauen können. Er behauptet, ganz im Sinne vieler Amerikaner mit republikanischer Prägung, wir wüssten nicht, ob die Erwärmung gefährlich sein könnte. Auch dies wissen wir definitiv. Man kann sich darüber streiten, wie schnell und ab wann und wo genau die Folgen der Erderwärmung gefährlich genannt werden müssen. Aber eine Erwärmung von mehreren Grad Celsius ist unvermeidbar, wenn wir Kohlendioxidemissionen überhaupt nicht regulieren und bei einem solchen Temperaturanstieg ist das Abschmelzen der Eisbedeckungen von Grönland und der Westantarktis auf Dauer unvermeidbar. Ein Meeresspiegelanstieg, der in wenigen Jahrhunderten, vielleicht sogar eher, im globalen Mittel bei über 10 Metern liegt, ist aber definitiv eine gefährliche Auswirkung. Ein Absterben der tropischen Korallenriffe im Zuge einer Erwärmung um mehrere Grad und einem Abfall des pH-Wertes um 0,3 Punkte ist ganz sicher eine sehr gefährliche Folge der Kohlendioxidemissionen. Gelernter meint, man solle der zivilisationsbedingten Erwärmung als wissenschaftlicher Hypothese mit Skepsis gegenübertreten, aus zwei Gründen, die beide nicht einsichtig sind. Zum einen, weil man allen „derartigen Hypothesen mit Skepsis begegnen sollte“. Mit „derartigen“ meint er wohl alle Hypothesen, bei denen Computermodelle als Arbeitsinstrument dienen können. Das sind, so wie sich die Wissenschaft entwickelt hat, heutzutage praktisch alle. Einerseits ist das trivial – ein Wissenschaftler muss immer ein Skeptiker sein. Aber das meint Gelernter nicht. Was er meint, ist auch nicht feststellbar. Er weiß es wohl selbst nicht. Denn eigentlich geht es ihm um den anderen Punkt, eine ganz typische Argumentationsfigur der Leugnerszene: menschengemachter Klimawandel könne nicht gefährlich sein, weil das Klima schon immer geschwankt habe. Das ist ein Satz, der in seiner Dummheit geradezu klassisch ist. Klimaforscher und Geologen können sehr ausführlich erläutern, wie das Klima in der Erdgeschichte geschwankt hat, aufgrund jeweils bestimmter externer Antriebe. Sie können zusammen mit Biologen auch einiges über das Aussterben von Arten erzählen, und wie dieses in katastrophalen Ereignissen kulminieren konnte, wenn ein großer Prozentsatz aufgrund von radikal veränderten Lebensbedingungen auf der Erde verschwand. Was uns die Erdgeschichte lehrt ist vor allem, daß kein Mensch wünschen kann, daß es schnelle Klimaveränderungen auf der Erde gibt, und es absurd ist, mit dem Verweis auf die Erdgeschichte unser Klima bedenkenlos zu verändern.
Was bei Gelernter auffällt ist, daß er seinen Kommentar darauf aufbaut, daß er sein Resultat fertig hatte, bevor er darüber nachdachte – bei seinen politischen Einstellungen kein Wunder. Denn bei ihm kommen Risiken und Skepsis immer nur in einer Richtung vor. Für ihn ist ein Argument, daß Maßnahmen gegen den Klimawandel Milliarden kosten können. Für ihn ist seltsamerweise aber kein Argument, daß das unbeschränkte Emittieren von Treibhausgasen selbst Milliarden an Schäden verursachen wird. Er meint, man müsse die Aussagen der Klimaforschung mit Skepsis aufnehmen. Er sieht aber keinen Grund, die Aussagen der Leugnung der Ergebnisse der Klimaforschung mit Skepsis aufzunehmen inklusive seinem Strohmann, daß das Klima schon immer geschwankt hätte und ein Klimawandel daher unbedenklich sei.
In seinem Text findet man immer wieder vage Allgemeinplätze. Die Klimamodelle hätten bei einigen einschlägigen Testläufen die Vergangenheit nicht vorausberechnen können. Gelernter gibt hier nicht an, was er meint, um welche Elemente es geht und welche Relevanz das für das aktuelle Problem hat. In der Fachliteratur findet man hingegen, daß wesentliche Elemente der Klimaentwicklung der Vergangenheit mit den aktuellen Modellen reproduziert werden konnten. Die Literaturangaben dazu kann man zum Beispiel in den Kapiteln 6, 8 und 9 des 4. Sachstandberichts der WG 1 des IPCC nachlesen. Was also erzählt uns Gelernter da eigentlich? Er behauptet, die Zukunft könnten die Modelle erst recht nicht vorausberechnen. Daß sie das können, stellen die Modelle seit 1988 unter Beweis. Alle Modelle haben ihre Grenzen und ihre Fehler. Doch entscheidend ist, ob man unter Beachtung dieser Grenzen relevante Aussagen gewinnen kann. Und da können wir Klimamodelle als wichtige Entscheidungshilfe nutzen.
Gelernter meinte, Milliarden für den Klimaschutz wären doch womöglich besser angelegt für ganz andere Projekte, und sehr plakativ kommt da auch die Trinkwasserversorgung eines afrikanischen Dorfes ins Spiel. Möglicherweise schaffen wir mit dem Klimawandel hier erst die Probleme, die Gelernter dann lösen will. Oder auch nicht, denn das Dorf ist nur hypothetisch zu sehen, weil es diese Alternative nicht gibt – Gelernter, wie viele marktradikale Republikaner, nehmen solche Verweise nur als Vorwand, nichts zu tun, was er am Ende des Absatzes bereits andeutet. Wir geben Milliarden aus, um Banken zu retten, Milliarden, um Waffen zu kaufen, Milliarden, um Bauern zu subventionieren, Milliarden hier, Milliarden da. Wenn der politische Wille da ist, geben wir Milliarden für den Klimaschutz aus und gleichzeitig auch Milliarden für die Wasserversorgung in Entwicklungsländern. Bisher hat noch kein Leugner, der nach Manier des Sozioökonomen Björn Lomborg andere Entwicklungsprojekte ins Feld führte, denen angeblich der Klimaschutz das Wasser abgräbt, nachweisen können, daß auch nur ein Cent mehr in diese Projekte fließt, wenn wir keinen Klimaschutz betreiben. Da wäre Gelernters Skepsis mal angebracht.
Gelernter behauptet auch, daß wir reichlich Zeit zum Nachdenken hätten, bevor wir Entscheidungen treffen, das CO2-Experiment zu stoppen. Auch hier weiß niemand, wie Gelernter darauf kommt. Da er den Modellen nicht trauen will, muß er ja irgendwie beurteilen können, wieso wir noch lange Zeit weiter Treibhausgase in der Luft anreichern können, ohne daß das gravierende Auswirkungen hätte. Auch hier wäre Skepsis gegenüber Gelernters Urteilsvermögen angebracht, denn in den Fachpublikationen findet man eher Belege, gerade aus der Paläoklimatologie, die darauf aufbaut, daß das Klima schon immer geschwankt hat, daß wir bereits in einem Bereich der Treibhausgaskonzentrationen sind, bei dem gravierende unumkehrbare Wirkungen auftreten können. Wir haben demnach eben keine Zeit mehr, das CO2-Experiment fortzusetzen, dem Gelernter frei von jeder Skepsis eine vorläufige Unbedenklichkeit bescheinigen wollte.
Was Gelernter aber wirklich als Leugner, als Wissenschaftsgegner und als Polemiker kennzeichnet, ist seine Unterstellung, daß Wissenschaft auf Basis von Modellen, also praktisch die gesamte heutige Wissenschaft, eine religiöse Veranstaltung sei. Er schreibt von der „ehrwürdigen Imprimatur der wissenschaftlichen Priesterschaft“, von „Softwaregläubigkeit“, von „blindem Vertrauen auf die Kafka-Computer des wissenschaftlichen Mysterium-Staates“. Da schreibt jemand, der keine Argumente hat, der ablehnen will, was er nicht versteht, aber trotzdem sein Leben beeinflusst und dies nur dadurch kann, daß er Wissenschaft mit Religion gleichsetzt. Tut er das, braucht er sich nicht mehr mit den Fachargumenten auseinandersetzen, denn eine Religion ist ja nur Glaubenssache. Genau deshalb kommen so gerne religiöse Metaphern und Unterstellungen von Leugnern wissenschaftlicher Erkenntnisse.
Gelernter behauptet, er warne vor der Gefahr, daß Politiker gläubig den Output von Modellen in politische Entscheidungen umsetzen würden. Doch hier stimmen schon zwei Punkte nicht. Zum einen diese Vision nicht, denn viel öfter beobachten Fachleute in der Politik ausgeprägte Beratungsresistenz. In den USA liegen seit 1979 Studien vor, daß Treibhausgasemissionen das Klima verändern werden und ein Risiko darstellen werden. Das hatte bisher erschreckend wenig Folgen. Zum anderen nimmt Gelernter einfach so an, daß die mögliche Fehlbarkeit von Modellen bedeutet, daß Entscheidungen ohne den Einsatz von Modellen weniger fehlerhaft wären. Diese Erwartung ist geradezu absurd. Modellbasierte Entscheidungen setzen sich ja gerade deshalb durch, weil man dadurch Fehlerraten absenken kann, nicht weil die Menschheit heimlich zur Computerreligion konvertiert wäre. Gelernter mag vom schönen 19. Jahrhundert träumen, als das Leben noch einfach war und man mit Bauchentscheidungen ein Gemeinwesen lenken konnte. Aber heute nutzen wir Internet, Flugzeuge, Autos, globale Warenströme und moderne Pharmazie. Nichts davon würde ohne Computereinsatz funktionieren, und Modelle werden in immer mehr Bereichen wichtige Arbeitswerkzeuge nicht nur in der Forschung, sondern in der Betriebssteuerung. Der Gedanke daran mag Gelernter verstören, trotzdem ist es kein Grund, wissenschaftliche Ergebnisse zu leugnen und Wissenschaftler zu diffamieren. Der nächste, bitte.
Montag, 26. April 2010
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1 Kommentar:
Hallo for4zim,
ich bin da nicht wirklich erstaunt. Die FAZ zählt zwar zu den seriösen Medien, aber meiner Meinung nach ist die FAZ ähnlich seriös wie die BILD oder die Welt.
Neulich durfte da ein Herr Heinsohn seine Theorien zur finanziellen Ausrottung der Unterschicht
darlegen: kackbraune Eugenik.
Wenn die NPD sowas im Wahlprogramm schreiben würde, gäbs einemn republikweiten Aufschrei. Wenns in der FAZ propagiert wird, interessiert es keinen.
Seriös ist offenbar ein dehnbarer Begriff. :)
Btw, vor 3 Jahren gabs schon mal einen echten Skeptikerartikel in der FAZ: http://tinyurl.com/ytbtex
Pseudowissenschaftliche Argumente _gegen_ den Klimawandel sind also bei der FAZ kein Einzelfall.
Und noch ein FAZ-Schmankerl: Vor 22 Jahren (1988) behauptete die FAZ doch tatsächlich: "Stromversorgung und Wettbewerb bleiben ein Traum - Die Elektrizitätswirtschaft ist ein natürliches Monopol; Eine Folge physikalischer Gesetze"
Im Artikel darunter durfte dann der Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Deutschen Elektrizitätswerke darlegen, warum die Elektrizitätsversorgungsunternehmen
ein Monopol besitzen. Und warum das physikalisch zwingend notwendig ist.
(FAZ, 28.10.1988)
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